Ich will mit dem Andreas zu einer Schneeschuh-Winterwanderung aufbrechen. Beide haben wir ziemlichen Respekt vor Lawinen. Darum entschließen wir uns Richtung Süden zu fahren. Je weiter entfernt vom Alpenhauptkamm umso weniger Lawinengefahr, so zumindest unsere Überlegung. Der Monte Sera über Ragno soll ein einfacher Aussichtsberg sein. Und da die Fraktion Ragno, die zur Gemeinde Bleggio Superiore steht, weitum bekannt für seinen besonderen, bäuerlichen Weihnachtsmarkt ist, ist die Entscheidung schnell gefallen.
Die Anfahrt ins Trentino nach „Borgo di Ragno“ erweist sich mit 1 h 10 min kürzer als gedacht. Vor dem Ort, der das Siegel „I Borghi più belli d‘Italia“ trägt, werden wir abgefangen. Man weist uns an auf einer Wiese zu parken. Eigentlich wollten wir hinauf zum Passo del Durone und von dort den Monte Sera erklimmen und erst nach absolvierter Wandertour in Rango vorbeischauen. Doch der italienische Parkplatzanweiser sagt, die Straße sei gesperrt.
So stehen wir nun auf einer zu einem Parkplatz umfunktionierten Wiese über 2 km vom gewünschten Ausgangspunkt unserer Schneeschuhwanderung entfernt und schauen uns verdutzt an?
Ich sage: „Naja, dann verlängert sich eben unser Fußmarsch.“ Der Andreas meint, in dem Fall die Schneeschuhe im Auto lasse. Ich schließe mich an.
So wandern wir nun auf Asphalt hinauf ins Zentrum von Ragno.
Weihnachtsmarkt Borgo di Rango
Wow, was für ein Dorf: Dove il tempo si é fermato! Recht haben sie die Macher der „Schönsten Dörfer Italiens“. Hier in Rango ist die Zeit tatsächlich stehen geblieben. Ursprüngliche, bäuerliche Architektur, großartigen Gewölbe, Städel und verwinkelten Verbindungsgänge – Borgo di Rango trägt das Prädikat „I Borghi più belli d’Italia“ zu recht. Und wow, was für ein Weihnachtsmarkt! Der „Mercatino di natale“, wie die Italiener zum Weihnachtsmarkt sagen, ist mit dem Dorf regelrecht verwoben. Ihm können wir es verdanken, dass wir in zahlreiche Innenhöfe, Verbindungsräume und Dorfwinkel reinschauen dürfen, die ohne Weihnachtsmarkt sicherlich nicht öffentlich zugänglich wären. Ich bin von der architektonischen Ursprünglichkeit des Bauerndorfes schlichtweg begeistert!
Auch der Andreas ist überwältigt. Beide sind wir nun froh, dass uns der Parkplatzanweiser in die Parkweise hineingezwungen hat. So einen Ort muss man einfach gesehen haben. Ich hatte zwar geplant kurz vorbeizuschauen, aber nur als kurzen Abstecher nach der Wandertour. Jetzt haben wir das Glück zwei Mal mitten durch zu dürfen. Jetzt vor Beginn unserer Winterwanderung und ein zweites Mal, wenn wir zurück kommen werden. Und da wir jetzt schon sehen, dass es sich lohnt, werden wir fürs zweite Mal genug Zeit einplanen.
Selbstverständlich genehmigen wir uns einen Kaffee, schlendern einmal durch die Gassen und verlassen dann mit viel Vorfreude auf den nächsten, voraussichtlich abendlichen, Besuch, das malerische Rango auf einen Schnee bedeckten Feldweg.
Passo Durone
Gemütlich marschieren wir bis zum Passo Durone hinauf. Nach 3,5 km vom Wiesenparkplatz aus gerechnet erreichen wir ihn. Oha, damit stellt sich heraus, dass wir unsere geplante 13 km Wintertour auf 20 km verlängern. Für eine Sommertour wäre das zwar nicht besonders viel, doch im Winter, wenn nicht feststeht wie viel wir durch Schnee stapfen müssen, ist das schon etwas gewagt.
Der Wanderweg Nr. 463, ein alter Saumpfad, soll uns in einer Spirale zuerst zu den Almen „Malghe Stabio“ und dann auf di Cima Sera bringen. Der Weg ist heute Schnee bedeckt. Es ist von zahlreichen Fußtritten hart gedrückter Schnee. Das ist ideal, wir fühlen uns in unserer Entscheidung die Schneeschuhe im Auto gelassen zu haben bestätigt. Leider ist der Untergrund teilweise aber auch recht rutschig, sodass das Wandern beschwerlicher als auf einem Sommerweg ist.
Rechts eine italienische Informationstafel:
Jetzt da der Verlauf nach einer brüsken Wendung sich auf die östliche Seite von Cima Sera verlegt hat, nutzen wir ein Fenster im Wald, um auf die Landschaft zu schauen. Unten im Tal öffnet sich das Einzugsgebiet von Tione. Von dieser Position enthüllen sich alle landschaftlichen Details wie auf einer topografischen Karte. Wir sehen die Grenze zwischen Giudicarie Superiori und Giudicarie Inferiori und den Auslauf eines der größten Täler des westlichen Trentino, des Val Rendena. Von unserem Standpunkt ist die Sicht auf das Val Rendena zwar teilweise durch die letzten Ableger der Brenta Gruppe verdeckt, aber das Tal zeichnet sich klar als Talfurche ab, die nach Norden zwischen imponierenden Bergmassiven verläuft. Gegenüber der Brenta-Bergem Richtung Westenm erhebt sich die erste massive Ebene der Adamello-Gruppe: das makellose Weiß der Gletscher erzeugt einen malerischen Kontrast mit den darunterliegenden dunkelgrünen Wäldern und strahlenden Wiesen. Weiter entfernt, Richtung Norden, auch sie getarnt mit glitzernden Gletschern, erhebt sich die unverwechselbare Silhouette der Presanella in den Himmel.
(freie Übersetzung von mir)
Malga Stabio
Endlich lichtet sich der Wald, Schnee bedeckte Almwiesen breiten sich vor uns aus. Die Alm „Malga Stabio“ ist erreicht. Das dreistöckige Gebäude neben niedrigen, langgezogenen Stallungen vermittelt den Eindruck im Sommer eine beliebte Einkehrmöglichkeit zu sein.
Wir queren das offene Gelände. Der Schnee wird tiefer. Querfeldein geht nicht denn dabei brechen wir bis zu den Knien ein. So folgen wir einer Spur. Der Panoramablick auf die oben beschriebene Bergwelt öffnet sich, je weiter wir in den Hang zum Monte Sera hinaufsteigen.
Die Spur, der wir folgen hat uns kurz nach der Alm links in den Wald herauf geleitet. Das ist ein wenig komisch, da wir laut meinem digitalen Wanderführer nach der Alm noch 800 m gerade aus zur Aussicht „Bocchetta Piazzola“ marschieren hätten sollen. Mittlerweile haben wir uns schon sehr steil einige Höhenmeter in den Wald hinaufgekämpft und haben keine Lust die eroberten Höhenmeter wieder abzugeben. So halten wir uns an der Spur in der Hoffnung, derjenige der sie getreten hat, wusste was er tat. Es wird stetig steiler und beschwerlicher. Endlich erreichen wir eine querende Forststraße. Laut Wanderführer müssen wir ihr flach nach rechts für circa 600 m Richtung Süden folgen, um auf den geplanten Wanderweg zu gelangen. Wir machen das, denn das Querfeldein hat uns so arg zum Schwitzen gebracht.
20 m über dem Aussichtpunkt „Bocchetta Piazzola“ finden wir unseren Wandersteig. Die verpasste Aussicht werden wir auf dem Rückweg mitnehmen, kein Problem.
Es geht nun steil, mehr oder weniger auf dem bewaldeten Südgrat des Monte Sera bergauf. Zum Glück ist der Schnee hart – wir kommen ohne Schneeschuhe aus – und der Steig ungefährlich. So kommen wir gut voran.
Urplötzlich verschwinden die Bäume. Wir können tief hinunter in die Talgemeinschaft Comunità delle Giudicarie blicken. Bald kann ich sogar Rango ausmachen. Je grandioser der Tiefblick auf das Altopiano del Bleggio rechts und das Tal rund um Tione links wird umso abfallender wird der Grat. Im Sommer kein Problem, doch heute mit Knöchel tiefen Schnee müssen wir schon etwas aufpassen. An einigen Stellen wäre eine Rutschpartie fatal!
Mich wundert immer wieder wie dem Andreas solche Berggrate nichts ausmachen. Vor Lawinen hat er den genau gleichen Respekt wie ich, doch Gebirgsgrate sind im egal. Obwohl ich ihm heute konditionell ziemlich überlegen bin, werden meine Knie weich während sein nicht den mindesten Anstand einer Beunruhigung zeigen.
Steil links unter uns schleicht sich ein langer Schatten an die Stabio Alm heran. Darüber im Uhrzeiger verlaufend strecken sich die weißen Gletschergipfel der Adamello- und Presanella-Gruppe gen Himmel.
Cima Sera
Noch circa 10 gewagte Schritte, auf einem extra schmalen Grat, dann stehen wir auf 1.909 m vor zwei eingeschneiten Sitzbänken und dem wuchtigen Gipfelkreuz des Monte Sera. Der Andreas setzt sich auf eine der Bänke.
„Aber nicht das du unbedacht aufspringst!“, ermahne ich ihn. Ein Ausrutscher wäre sein Tod.
Ich bin nicht so todesmutig. Glücklicherweise bietet das Gipfelkreuz westwärts eine ebene, circa 2 m breite Fläche. Ich halte mich lieber dort auf und widme mich der Fotografie. Ich muss mich konzentrieren. Durch den Sucher schauen und gleichzeitig ein zwei Schritte links oder rechts huschen, das ist hier auf dem Monte Sera nicht drin!
Die weiße Winterbergwelt begeistert. Obwohl wir keine echte Schneeschuhtour absolviert haben, befinden wir uns in einer total schönen Winteridylle. Herrlich!
Richtung Nordern können wir die Presanella und die Brenta Berge erblicken. Im Westen sehen wir den Monte Bondone, die Tre Cime del Bondone und den Monte Stivo. Im Süden blicken wir auf die Gardaseeberge mit Dosso della Torta, Monte Altissimo und Monte Cadria. Im Osten bestimmen die weißen Gletscher der Adamello-Gruppe mit dem markanten Carè Alto das Panoramabild.
Halb drei, eine Stunde haben wir uns aufgehalten. So langsam sollten wir uns auf den Rückweg machen. Der Andreas wäre schon viel früher gestartet, doch ich will nicht zu früh zurück. Ich habe zwei Gründe. Einerseits weil es hier oben so herrlich aussichtsreich ist und anderseits, weil ich unten in Rango den Weihnachtsmarkt mit Abendstimmung erleben möchte. Vor Sonnenuntergang will ich nicht unten sein.
So dreht sich nun der Spieß. Herauf habe ich gezogen, nun abwärts bin ich die Bremse. Immer wieder bleibe ich stehen. Die Bocchetta Piazzola nehmen wir selbstverständlich mit. Der Ausblick ins kleine Seitental Val Marcia ist nicht ganz so besonders, wie ich ihn mir erwartet habe. Trotzdem setzten wir uns für eine Trinkpause auf die Bank an der Aussicht.
Zurück zur Stabio Alm ist dieselbe bereits in Schatten versunken. Nur die weißen Gipfel der Adamello-Presanella-Alpen leuchten noch in der Sonne. Gut so, mein Plan scheint aufzugehen.
Nach zwei Stunden Rückweg ist das Dorf Borgo di Rango in Sicht. Der volle Mond leuchtet hell am rosafarbenen Abendhimmel. Super!
Mercatino di Rango
Wir tauchen ein in das Weihnachtsfeeling. Jetzt in den Abendstunden schaut das bäuerliche Dorf noch eine ganze Ecke idyllischer aus. Wir nehmen uns die Zeit so viel Gassen, Räume, Weihnachtsausstellungen wie möglich zu erkunden, genehmigen uns sogar einen Glühwein. Die Idylle ist perfekt.
Immer wieder entdecken wie eine neue Nische, eine versteckte Verbindung von einer Gasse zur anderen. Ich kann mich nur wiederholen: dieses Dorf muss man gesehen haben, am besten zur Weihnachtszeit, wenn man aufgrund des Weihnachtsmarktes in alle Ecken und Winkel rein schauen darf!
Vollkommen zufrieden verlassen wir Borgo di Rango von den „I Borghi più belli d’Italia„. Es bleibt nur ein Wehrmutstropfen. Ich hätte dieses herrliche Dorf gerne auch meiner Kleinen gezeigt. Nächstes Weihnachten werde ich das sicherlich machen. Versprochen!
Karte Wanderverlauf von Borgo di Rango auf den Monte Sera
GPX-Track , Position: -km, -m GPX
Eckdaten der Tour
Weihnachtsmarkt in Rango und Winterwanderung auf den Monte Sera
- Dauer: 8:05 h
- Distanz: 19,3 km
- Bergauf: 1.520 m
- Bergab: 1.520 m
Um welche Art von Tour handelt es sich?
In welcher Region befindet sich die Tour?
Um welche Bergkategorie handelt es sich? Auf welcher Höhe liegt die Tour?
Wie lang ist die Strecke?
Wie streng ist der Aufstieg (Länge, Höhenmeter, Steigung)?
Wie anspruchsvoll ist der Abstieg (Länge, Höhenmeter, Steigung)?
Wie viel Zeit werde ich für die Tour brauchen?
Dieser Wert kann individuell stark variieren. Siehe Gehzeitrechner.
Wie viele Kalorien werden bei der Tour verbrannt?
Es ist zu beachten, dass die Berechnung des Kalorienverbrauchs auf Faustformeln und allerlei Annahmen beruht, z.B. Gewicht=75 kg, Kalorienverbrauchsvorgaben für Aufstieg, Abstieg, flach usw. und daher nur eine Schätzung und keine exakte Angabe liefert. Wenn du deinen Kalorienverbrauch selbst berechnen möchtest, dann schau dir diesen Kalorienrechner an.
Hallo Dietmar
So nun habe ich mich auch durch deinen letzten Blog des Jahres 2021 gekämpft und bin bei deinen Seiten im Jahr 2022 angekommen. Habe mir aber extra nochmals die Zeit genommen, trotz sommerlichen Wetters im Schwabenland.
Doch die Zeit und Geduld beim Durchklicken deiner Reise-und Wanderbeschreibung haben sich absolut gelohnt, sowas schönes sieht man hier nicht mehr, denn im Gegensatz zu unseren Weihnachtsmärkten die ich hier kenne, ist die Attraktion nicht die Buden und Stände sondern dieses urige Örtchen in welchen der Markt eingegliedert und integriert wurde – wirklich wunderschön.
Es ist tatsächlich so – du wirst es nicht glauben – dass ich in dieser schönen Ecke von Norditalien noch nie war – aber was nicht ist kann ja noch kommen.
Und so Gott will sehn wir uns ja in Kürze wenn ich ab Montag wieder an der Sonnenstraße oberhalb dem Pustertal in Terenten für 9 Tage Wanderurlaub mache und mich schon jetzt auf schöne Touren und das Treffen mit Dir und Andreas freue.
Ich melde mich vorher nochmals persönlich per Mail.
Bis dahin eine gute Zeit wünscht Dir
Charly
Hallo Charly,
ja genau so ist es. Die Attraktion war das urige Örtchen und die Möglichkeit durch den Weihnachtsmarkt in alle möglichen Ecken und versteckten Winkel, zu denen man wahrscheinlich normalerweise nicht kommt, die man normalerweis hinein zu schauen. Das war genial!
Bis bald 😉
Grüße
Dietmar