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Bergsteigen, Ortler, Ortlergruppe, wandern

Zwei Gipfel Bergtour mit Ortlerblick

Irgendwann im Leben eines jeden Südtirolers kommt der Tag, an dem er seiner „heilige“ Pflicht, die ihm mit der Geburt in die Wiege gelegt wurde, nachzukommen hat. Es gilt dem König Ehrerbietung zu erweisen. Heute ist für uns dieser Tag. König Ortler hat gerufen, wir – haben uns zu verneigen. Mit gebührenden Respekt, mit angebrachten Abstand versteht sich von selbst. König Ortler will in seiner gesamten Pracht bewundert werden. So soll es sein, so wird es gemacht.

Gletscherkönig Ortler

Der Aussichtsberg Piz Chavalatsch wird uns dabei assistieren. Ein Grenzberg zwischen der Schweiz und Italien, ein perfekter Standpunkt für eine tiefe Verneigung vor dem höchsten Berg Tirols und gleichzeitig ein traumhafter Panoramapunkt für Blicke in den Vinschgau bis hinauf zum Reschensee und hinein ins Münstertal, welches sich im schweizerische Münstair fortsetzt.

Wir starten im unteren Suldental, oberhalb von Stilfs. Auf dem Parkplatz beim Wildgehege von „Fragges“ lassen wir unser Auto stehen und wandern auf einem Forstweg, im Schatten hoher Nadelbäume, zum Platzbach hinein. Hier treten wir aus den Wald heraus und marschieren nun vom Forstweg nach rechts abzweigend über den Katzenbichl auf den Almsteig, der uns über die Prader Almwiesen, bis zur Prader Alm bringt. Der Blick reicht hinunter in den Vinschgau. Wir können Prad stehen, wo wir in das Suldental herein gebogen sind.

Prader Alm

Bei der Prader Alm überrascht ein mächtiger Hintergrund. Der höchste Berg der Ostalpen, König Ortler, schiebt sich mit seiner weißen Krone vom Horizont empor. Wow!

Ab jetzt haben wir nur noch einen Blick, den hinüber zum mächtigen Gletscherkönig und seiner treuen Gefolgschaft: Thurwieserspitze, Trafoier Eiswand, Madatschspitze, Geisterspitze und Naglerspitz. Während wir von der Prader Alm über einen gemütlich ansteigenden Forstweg zur Furkelhütte wandern und ständig den Kopf nach links drehen, taucht tief unten aus Tal das Bergdorf Trafoi auf. Es liegt im Talschluss des Trafoiertales, das bei Stilfs vom Suldental Richtung Stilfser Joch abzweigt. Von dort unten startet die aufgrund ihrer Kurven überaus beliebte Panorama-Passstraße Stilfer Joch hinauf zum gleichnamigen Joch. Sie ist mit 2.758 m ü. d. M. Italiens höchste Passstraße. Doch heute lassen wir es nicht zu, dass sie, die von Menschen konstruierte, dem von Gott erschaffenen König, die Show stiehlt. Die Gletschereiskette des Ortler Hauptkammes lässt uns nicht aus ihrem Bann. Auch nicht, da wir uns nun auf der Terrasse der Furkelhütte für einen Kaffee niederlassen.

Furkelhüttte

Blick von der Furkelhütte zum Kristallkamm der Ortlergruppe

Rote Geranien umrahmen die Bergkulisse und bilden so zusammen mit den weißen Bergspitzen die Tiroler Fahne ab. Wir sind nicht alleine. Kein Wunder. Ein Sessellieft fördert Bergschaulustige von Trafoi herauf. Wir werden sehen ob sie uns hinauf auf den Aussichtsgipfel folgen werden.

Von der Furkelhütte starten wir über den Steig Nr. 24 hinauf Richtung Spitze. Zuerst treffen wir noch eine italienische Wanderfamilie, doch ab dem Schoaßegg stellt sich schnell heraus, alles „nur“ Sesselliftfahrer. Uns soll das Recht sein. Der Bergsteig wird steiler und steiler. Der Blick hinüber zu dem, vor dem wir ehrfürchtig die Häupter zu Boden senken wird schöner und schöner. Bei einer Gabelung mit geschnitzten Wegweisern halten wir uns rechts. Da steht zwar etwas von Piz M…, aber mehr als den Anfangsbuchstaben kann ich im schnellen Vorbeigehen nicht erfassen. Naja da ober uns ist der Gipfel eh zu sehen, da wollen wir rauf.

Ortlergruppe mit Trafoi

Obwohl wir merklich langsamer werden, überholen wir ein Pärchen „Instagramer“. Er bärtig, maskulin, tätowiert an allen Ecken und Enden, hat augenscheinlich extra ein Fotorequisite mitgenommen. Ein mächtiger Rübezahl-Stock dient ihm als Stütze um beim Posieren eine möglichst heroischer urgestaltige Pose einnehmen zu können. Der weiße Ortler-Bergriese muss als Hintergrund für die Smartphoneknippserei seiner Freundin herhalten. Die gepalte kraftvolle Mannzurschaustellung scheint, meinem Bergkameraden, dem Andreas, etwas Respekt einzuflößen. Er will stehen bleiben und die Beiden voraus steigen lassen. Doch die machen keine Anstalten, das Angebot annehmen zu wollen, so bleibt uns nichts anders übrig als voraus zu wandern. Schnell kapieren wir warum. Obwohl selbst nicht besonderen schnell unterwegs, klafft bald eine große Lücke zwischen uns und ihnen. Und das obwohl wir fast vom gleichen Schlag sind. Ok, wir schauen zwar nicht aus wie die typische Instagramer, der Andreas hat keinen Rübezahlstock mit, tätowiert ist er auch nicht, ich habe kein Smartphone in der Hand, doch Andrea’s Unterschenkel können sich modelmäßig sehen lassen, auch weiß er, dass er mit auf Bild muss und ich bin genau gleich, wie die Freundin des Tätowierten mit sehr viel Knippserei, wenn auch mit einer größeren Kamera, beschäftigt. Schlussendlich liegt der Unterschied nur darin, dass unser Endergebnis nicht den Mensch, sondern den Berg, maximal die Bergsteigertätigkeit in den Mittelpunkt stellen will und wir es schaffen, das Ganze gebacken zu bekommen, ohne dass unsere Bergsteiggeschwindigkeit maßgeblich leidet.

Angekommen auf dem Grenzkamm zwischen Italien-Schweiz

Endlich kommen wir auf dem breiten grünen Kamm, der die Grenze zwischen Italien und der Schweiz bildet, an. Der Bergblick wird nun durch die Schweizerische Alpenlandschaft erweitert. Grandios!

Uns steht nur noch der geröllige Gipfelaufbau bevor. Den schaffen wir auch noch und schon stehen wir vor dem Gipfelkreuz mit einer 360° Bergsicht, die ihresgleichen sucht! Ein klein wenig wundere ich mich, warum ich den Reschensee nicht sehen kann, doch egal, jetzt gilt es mal die Gipfelwelt zu erkunden.

Erster Aussichtsgipfel mit Ortlerblick

Schweizer am Gipfelkreuz

Ein Schweizer Paar bittet mich um ein Foto. Ich nutze die Gelegenheit nach dem Namen des Tales, das sich vom schweizerischen Val Müstair und dem Südtiroler Münstertal senkrecht Richtung Nordwesten wegbewegt zu fragen.

„Das ist das Schlinigtal“, entgegnet der Schweizer.
„Ach ja“, entgegne ich, „komisch, das ich das nicht erkannt habe. Da waren wir erst vor einigen Wochen“.

Ich bringe entschuldigend an, dass wir nicht aus der Gegend sind, sondern vom Süden Südtirols, von Tramin kommen und frage ob er Tramin kenne. Er kennt Tramin nicht. Ich bin entrüstet. Wie, noch nie Tramin, die Heimat des Gewürztraminers, gehört. Ach Gewürztraminer, ja den kennt er schon. Den trinkt er sehr gerne! Aber wir bekommen in der Schweiz Gewürztraminer nur aus dem Elsass. Ich kläre ihn auf, dass er in dem Fall unbedingt einen Traminer Gewürztraminer, am besten einen Nußbaumer der Kellerei Tramin probieren müsse. Das sei nämlich eine ganz andere Liga! Er verspricht, er wolle den Traminer Gewürztraminer mal probieren. Um seinem Versprechen Nachdruck zu verleihen, erkundigt er sich nochmals nach den Namen um ihn sich gut merken zu können. Nußbaumer!

Die beiden verabschieden sich über die Westflanke. Das italienische Instagram-Pärchen müsste längst nachgekommen sein. Das hat sicher aber unter dem Gipfelaufbau niedergesetzt und macht keinerlei Anstalten den Gipfel zu stürmen. Komisch.

Umso besser, wir haben nun den Gipfel für uns alleine!

Andreas hat Pause. Er setzt sich vor beindruckender Bergkulisse nieder. Nein nicht zu posieren, zum Sinnieren. Andreas ist ein Denker. Was er denkt, kann ich nicht sagen. Mich interessiert daran vor allem die Ästhetik. So erweisen wir dem, für den wir hier heraufgestiegen sind, beide auf unsere Weise, die Ehre. Andreas  indem er ihm mit Ruhe und Tiefsinn begegnet, indem er denkt. Ich, wie ein scheues Reh umherspringend, ihn fotografisch bewundernd. Zwei Männer, zwei unterschiedliche Herangehensweisen König Ortler zu würdigen.

Denker am Berg mit Ortler im Hintergrund

Da ich so auf das Schlingtal runter blicke, kann ich zwar schon eine gewisse Ähnlichkeit erkennen, doch je länger ich runter starre umso mehr erkenne ich, das ist nicht das Schlingtal. Später werde ich recherchieren, es ist das Avignatal. Das Schlingtal liegt rechts dahinter. Den Talboden kann man von hier nicht sehen, aber ich erkenne den rechten Talhang über den wir zum Sevanna Pass gewandert sind. Auch erkenne ich den Föllakopf.

Nach einer guten Stunde Ortler-Bewunderung wollen wir absteigen. Geplant hatte ich die Bergtour so: vom Parkplatz des Wildgeheges, über die Prader Alm zur Furkelhütte, dann über die Südflanke hinauf zum Piz Chavalatsch und über die Ostflanke hinunter zur Oberen Stilfser Alm, dort essen. Von Süden sind wir gekommen, also müssen wir nun über Osten absteigen.

Blick vom Piz Minschuns auf die alpine Welt der Ortlergruppe
Blick vom Piz Minschuns auf die alpine Welt der Ortlergruppe
Ortlerblick vom Schafberg (Piz Minschuns)
Ortlerblick vom Schafberg (Piz Minschuns)

„Do isch koan Steig!“, merkt der Andreas an.
„Wia? Wort, i schaug afn GPS-Gerät“, entgegne ich.

Doch das GPS-Gerät spinnt. Der Positionspunkt liegt deutlich neben der hochgeladenen, lila eingezeichneten, Bergrunde. Der Andreas wird leicht nervös.

„Koan Problem, nor schaug i afn Handy“, beruhige ich ihn. „Sel, hot a GPS und a Kort!“

Mein Gott, das gibt’s doch nicht! Wir sind auf den falschen Gipfel! Jetzt erst öffne ich die Kasette mit dem Gipfelbuch, die am Kreuz angebracht ist. Die erste Seite im Buch bestätigt. Wir sind nicht auf dem Piz Chavalatsch sondern auf dem Piz Minschuns, auch Schafberg genannt. Der ist mit 2.935 m fast 200 Höhenmeter höher als Piz Chavalatsch und liegt Luftlinie 4 km südlich vom auserkorenen Ziel.

„I hon mir schun gedenkt, komisch, dass es do so steil aur geat, weil es Höhenprofil hot kamottr ausgschaug“, grinse ich den Andreas an.

Wir überlegen kurz ob wir über den Grat, der genau auf der Staatsgrenzlinie verläuft rüber wandern könnten. Doch da ist kein eingezeichneter Steig und das Gelände schaut für eine Querfeldein-Tour zu gefährlich aus.

Es hilft nichts, wir müssen über den gleichen Steig absteigen. Aus den Augen des Andreas kann ich sofort ablesen, runter und dann auf den zweiten Gipfel wieder rauf, das will er nicht. Ich aber weiß, ich will da rauf. Der Piz Chavalatsch, mit dem Reschenseeblick war das auserkorene Ziel. Der Aufstieg auf den Piz Minschuns war zwar wundervoll, aufgrund seines grandiosen Orterblickes wahrscheinlich schöner als es jener auf den Piz Chavalatsch, doch geplant ist geplant, der Wetterbericht hat Null Regenwahrscheinlichkeit vorausgesagt, wir haben beide Abends nichts vor, ich will da rauf. Trotzdem sage ich erst mal nicht recht viel.

Abstieg vom Piz Minschuns mit Ortler im Hintergrund

So steigen wir die zahlreichen kleinen Kehren über den sehr steilen Hang des Schafberg zum Schoaßegg hinunter. Mir passt das recht gut, denn so können wir den Ortlerblick-Steig nochmals genießen und müssen uns für Tiefblicke hinunter in den Vinschgau, vor allem auf Prad und hinein in das Matscher Tal, wo wir erst kürzlich zu den Saldurseen hinauf gewandert sind, nicht ständig umdrehen.

Blick auf den Vinschgau

Unsere Bremsmuskulatur freut sich darüber zwar etwas weniger, aber die unteren Schichten haben selbstverständlich zu gehorchen, Murren verboten!

Vor mächtiger Alpenkulisse

Vom Schoaßegg führt links der Wandersteig 4A weg. Von der Furkelhütte kommend, hätten wir hier rechts abbiegen müssen. Diese Abzweigung haben wir  – im Nachhinein Gott sein Dank – übersehen und sind so ganz unbewusst in den Genuss des Piz Minschuns gekommen.

100 m über der Abzweigung steht ein Steinmann mit Holzpfählen, die wie Wegweiser ausschauen. Sicherheitshalber gehen wir hinauf, doch es sind keine Wegweiser. Ich entdecke einen alten Pfad, der von Alpenrosen stark verwachsen ist. Obwohl ich mir den Fauxpas mit dem falschen Gipfel geleistet habe, vertraut der Andreas mir navigationstechnisch immer noch. Ich versichere ihm, dass wir ohne weiteres den nicht markierten, teilweise nur extrem schwer sichtbaren Pfad nutzen können um über dem 4A Wanderweg den Hang zu queren. Das sei viel schöner, viel immersiver!

mitten durch Alpenrosen

Und abermals stellt sich das Glück auf meine Seite. Meine Behauptung bewahrheitet sich. Eine herrliche Alpenrosen-Querung, aber da nicht offiziell, zeichne ich im Track unten den offiziellen Wanderweg ein. Auf denselben treffen wir beim Paltzbach.

Er führt uns in angenehmer Steigung mit rückwärts auf den Ortler blickend bis zu einer bewiesten Anhöhe hinauf. Eine Bank lädt zum Rasten und zur Erkundung des oberen Vinschagus ein. Vom Süden nach Westen: König Ortler, tief unter uns der Vinschgau, im Nordosten sehe bis ins Matschertal hienin, das leicht zu erkennen ist, da an dessen Ende der weiße Gipfel der Weißkugel, der heimlichen Königin der Ötztaler Alpen, empor sticht.

Die Anhöhe mit Bank, von der wir einen traumhaften Blick auf den Ortler aber auch auf den Vinschgau genießen können

Es gilt nun zu entscheiden. Gemütlich über den Almenweg Nr.4 hinüber zur Oberen Stilfser Alm und ein verspätetes Mittagessen einnehmen oder doch noch hinauf auf den Piz Chavalatsch. Ich sage nicht viel, doch man merkt was ich will. Der Andreas möchte lieber hinüber zur Alm. Er schaut nervös auf die Uhr.

Er meint: „Gean mir lei umi auf die Alm, an schean Gipfel hob mir jo schun kop.“

Ich: „Jetzt sein mir af 2.300 Höhenmeter, sein also lei nou 400 Höhenmeter. Isch lei wia va ins bis zum Gummererhof.“

Er merkt, ich will hinauf und will mir nicht in die Suppe spucken. So sind die Würfel gefallen und wir schreiten den grasigen Pfad (Nr. 5A), wieder nur angenehm steigend um den Tradakopf herum. Da blicken plötzlich verlockend die Unterer und die Oberer Stilfer Alm zu uns herauf. Ich muss den Andreas noch einen sprachlichen Schubs geben, denn jetzt müssen wir sogar etwas abwärts um kurz darauf die verloren Höhenmeter wie gut zu machen. Es geht quer durch den grünen Kessel der von Piz Sielva und Piz Chavalatsch gebildet wird und dann ein klein wenig steiler bis zu einer Ebene empor.

Die beiden Stilfser Almen unter dem Piz Chavalatsch

Der Andreas meint: „Zum Glück hobn wir boade a guate Fettstoffverbrennung!“

Ich versteh nicht so recht was er meint. Er muss mich aufklären. Das Mittagessen bei einer so deftigen Bergtour einfach auslassen, gehe nur, wenn man einen guten Fettstoffwechsel habe. Wer das nicht hat, der kann auf seine Fettreserven nicht zugreifen. Das sei wie wenn man mit einem mords Kohldampf vor einer prall gefüllten Vorratskammer stehe, aber die Tür verschlossen sei. Nur wer gut trainiert sei, könne die Tür aufsperren und von den Fettreserven zehren. Ich müsste froh sein, dass er das könne und das alles mitmache. Ich bin froh, ich mag den Andreas! Ich verspreche ihm den letzten Apfel. Andreas mag es nämlich, wenn sein Rucksack mit gähnende Leere befüllt ist. Ich mag es, wenn er mit zig Fotoapparaten bepackt ist, da hatten dann nur noch zwei Äpfel und zwei Tafeln Schokolade Platz 😉

Im Goldsee spiegelt sich König Ortler

Auf der Ebene überrascht ein Bergsee. Im Goldsee spiegelt sich König Ortler. Herrlich! Ein kleines Stück weiter oben treffen wir auf noch einen See. Er ist nicht benannt, wahrscheinlich nur eine Lacke die nicht immer mit Wasser gefüllt ist. Sie wird vom Albbach entwässert. Auch in ihm spiegelt sich der Ortler. Super! Ich will dem Andreas schon mitteilen, dass es sich nur für diese beiden Seen ausgezahlt hat, hier herauf zu wandern, doch ich verkneife es mir. Er weiß nämlich, dass der Steig beim Stilfser Schartl ermöglichen würde, den Gipfelaufbau des Piz Chavalatsch auszulassen, sprich circa 180 Höhenmeter unter seinem Gipfel auf den geplanten Abstiegsteig zur Stilfers Alm zu queren.

Geschafft! Angekommen auf dem Piz Chavalatsch

Meine Bedenken sind aber unbegründet. Am Schartl angekommen schaut die am Gipfel befindliche ehemaliger Zöllnerhütte, die mittlerweile als Relaisstation des Dolomites Radio Club (italienisches Amateurfunkrufzeichen IR3EB) für Funkamateure im Vinschgau dient, so nahe aus, dass er bereitwillig mir Richtung Gipfel nachsteigt.

Wir sind extra heute unterwegs, da ein Tag mit Null Regenwahrscheinlichkeit vorausgesagt ist. Trotzdem spudert es plötzlich ein wenig. So als ob wir angeniest würden, nicht mehr. Das ist komisch, denn über uns ist blauer Himmel, nur Richtung Schweiz schwebt eine einzige dunkle Wolke. Egal, wir steigen weiter auf und kommen um 18 Uhr 15 am Gipfel des Piz Chavalatsch an. Der Andreas bekommt wie versprochen den letzten Apfel.

Ein Apfel auf dem Gipfel

Ich kann noch auf den Reschensee hinunter zoomen, ein zwei Fotos vom Münstertal schießen, der Andreas seinen Apfel verputzen, da beschließt die schwarze Wolkige über uns, dicke fette Tropfen abzuwerfen. Was für ein Glück. Da stehen wir auf einem herrlichen Aussichtgipfel, vom Himmel fallen dicke Lichtbrechungsprismen, wir dürfen unter dem Vordach eines ehemaligen Zöllnerschutzhauses nehmen und hoffen.

Eine einzelne dunkle Wolke

Auf was wir hoffen? Das der Regen bald vorbei geht? Nein, das ist gewiss. Ein blauer Himmel und eine einzige verloren Regenwolke, da ist ein baldiges Ende sicher. Wir warten auf den einen schönen Bunten und – werden nicht enttäuscht. Zuerst zaghaft, dann stärken und prächtiger zeichnet er einen Viertelbogen von Stilfs herauf. Wir können es kaum fassen. Scheinbar haben wir heute das Glück gepachtet. So genießen wir die Bergwelt mit Regenbogen!

Da ist er der Regenbogen
360° auf dem Piz Chavalatsch mit herrlichem Rundumblick auf die Ortlergruppe, den Vinschgau und die Schweiz
360° auf dem Piz Chavalatsch mit herrlichem Rundumblick auf die Ortlergruppe, den Vinschgau und die Schweiz

Wir könnten auf den Sonnenuntergang warten, doch das ist mir nun doch etwas zu haarig (Stirnlampen vergessen). So steigen wir um 19.30 Uhr vom Piz Chavalatch über einen breiten, fast wie einen steinernen Fahrweg ausschauenden Pfad ab. Der Weg begeistert, vor allem weil er einen tollen Blick in die sehr niedrig stehende Sonne ermöglicht und ich nur ganz selten zu so später Stunde am Berg sein darf. Das versetzt mich in Glückseligkeit. Gemütlich steigen wir ab. Ich halte den Sonnenuntergang fest, schaue gebannt auf den grünen Munwarter, der sein Gipelkreuz ins letzte Licht streckt. Wo Begeisterung herrscht, da fehlt die Ratio!

Im Gegenlicht den Sonnenuntergang bewundern

Wie ein Blitz aus heiterem Himmel schießt es dem Andreas durch den Kopf: „Hosch gschaug ob mir richtig sein?“ Ich: „Na, soll i amol schaugn?“

Mein Gott – und schon wieder Glück! Wir haben den falschen Abstiegsweg erwischt. So wie wir absteigen, sind wir ins Münstertal bzw. nach Glurns hinunter unterwegs. Wahrscheinlich schön aber komplett falsch. Wir müssen umkehren und wieder hochstiegen. Warum Glück? Hallo, bei Sonnenuntergang, da gehe ich 100 mal lieber einen Nordhang hinunter, als einen Osthang. Warum? Fotografen werden es wissen.

Die wenigen handvoll hundert Meter zurück sind dabei nicht der Rede wert.

Ein Hochmoor mit Wollgras

Nach drei-, vierhundert Meter zurück hinauf Richtung Gipfel schaffen wir es den Hang Richtung Süden zu queren und kommen so auf den korrekten Abstiegssteig Nr. 5. Es ist mittlerweile 20.00 Uhr. Die letzten Sonnenstrahlen bemalen nur noch die höchsten Gipfel, jene der Ortlergruppe. Stark sind sie nicht mehr. Wollgras in einem Moor, einige neugierige Kühe später dann sind auch die letzten Sonnenstrahlen verschwunden und wir stehen vor der Oberen Stilfser Alm.

 

Brettljause in der stube der Oberen Stilfser Alm

Wir kehren ein. Klar, der Andreas hat seit dem Frühstück nicht Ordentliches mehr gegessen, ich seit gestern Abend (bin ein Frühstücksverweigerer). Dass wir uns eines guten Fettstoffwechsels rühmen können ist uns jetzt egal. Ein Brettl mit Aufschnitt muss nun eingelagert werden. Und schon wieder haben wir Glück. Auf der Oberen Stilfers Alm hat man ein iPhone Ladekabel. Das ist natürlich ein unverschämtes Glück und ein Trinkgeld wert! Wir sitzen zwar gemütlich in einer hellen Stube, doch draußen wird es dunkel, sehr dunkel. Kein Mond in Sicht. Mein iPhone steht bei 10% Ladung. Ich habe zwar noch einen vollen Drohnenakku mit USB Adapter dabei, das hilft das wenig, wenn das Kabel fehlt. Den Andreas, Besitzer eines Uralt Nokia Handy ohne Lampenfunktion, habe ich darüber im Dunkeln gelassen, man soll seinen Bergkamerad nicht unnötig nervös machen 😉

Milchschaumnocken
Milchschaumnocken

Der gemischte Aufschnitt mundet. Das iPhone steht nun bei 25 % Ladung. Noch was Süßes frage ich scheinheilig den Andreas. Natürlich. Schwarzbeerkuchen und Milchschaumnocken kommen auf den Tisch. Das ist gut so. Die Zeit vergeht, das iPhone liegt nun bei 38%.

Wir dürfen aufbrechen. Über einen weißen Forstweg geht es vorbei an der Unteren Stilfser Alm über den Tramentanbach Richtung Stilfs. Das menschliche Auge gewöhnt sich nach ein zwei Minuten an die Dunkelheit und kann eine weiße Schotterstraße recht gut von der dunklen Waldumgebung unterscheiden. So lassen wir die Taschenlampe des iPhone ausgeschaltet, schalten nur selten ein um zu kontrollieren ob wir noch auf Kurs sind.

„Sein mir richtig?“, fragt der Andreas. Genau richtig, antworte ich und schalte das Display wieder aus.

„Jetzt kansch obr schun die Taschenlompn einscholtn! I sig nix mear!“, antwortet er.

Ok, ich schalte ein nd so können wir im Lichtkegel bedeutend schneller marschieren und da wir den Weg nun gut sehen, schauen wir auch nicht mehr auf das Display. Komisch denke ich mir, warum kommt nun eine Kurve, so habe ich das nicht im Kopf. Ufa, wieder falsch! Gute 800 m müssen wir zurück. Wir hätten die Forststraße nach rechts für einen Waldsteig verlassen müssen. Mir wäre die Verlängerung zwar egal, wenn da nicht der fallende Ladezustand des leider etwas betagten iPhone beunruhigen würde.

Also zügig zurück, dieses Mal ständig sowohl Taschenlampenfunktion als auch Display eingeschaltet, finden wir den Einstieg in den Platzwald. Über zig Wurzeln – wahrscheinlich fällt uns das nur darum auf, weil es Nacht ist und die Erkenntnis, dass hier ohne Licht gar nichts ginge gereift ist – geht es zuerst durch eher flaches Gelände, dann einen recht steilen Waldhang querend Richtung Wildgehege. Der Ladebalken sinkt und sinkt.

Doch wir haben heute einen ausgesprochenen Glückstag. Der Akku hält bis zum Auto durch.

Ein König, zwei Gipfel, ein Schutzhaus und eine Alm – diese Bergtour darf sich in die Reihe der schönsten dieses Blogs einordnen.

GPS-Track Bergtour mit Ortlerblick vom Wildgehege Fragges über die Furkelhütte zum Piz Minschuns und zum Piz Chavalatsch, Abstieg über die Stilfser Alm

(korrekte Wanderwege, ohne die ungewollten Abwege)

GPX-Track , Position: -km, -m GPX

50 100 150 200 5 10 15 distance (km) elevation (m)

Eckdaten der Tour

Zwei Gipfel Bergtour mit Ortlerblick

  • Dauer: 9:50 h
  • Distanz: 23,7 km
  • Bergauf: 1.837 m
  • Bergab: 1.837 m
Um welche Art von Tour handelt es sich?
Es handelt sich um eine Tour der Kategorie Bergtouren
In welcher Region befindet sich die Tour?
Die Tour befindet sich in der Region Ortlergebiet
Um welche Bergkategorie handelt es sich? Auf welcher Höhe liegt die Tour?
Es handelt sich hierbei um einen Berg der 2.000er Kategorie. Der tiefste Punkt der Tour liegt auf 1.742 m über dem Meeresspiegel. Der höchste Punkt der Tour liegt auf 2.930 m über dem Meeresspiegel.
Wie lang ist die Strecke?
Die Tour ist 23,7 km lang.
Wie streng ist der Aufstieg (Länge, Höhenmeter, Steigung)?
Es sind 11,6 Kilometer und 1.837 Höhenmeter im Aufstieg zu bewältigen. Das entspricht einer durchschnittlichen Steigung von 16,5 %.
Wie anspruchsvoll ist der Abstieg (Länge, Höhenmeter, Steigung)?
Im Abstieg sind 11,6 Kilometer und 1.837 Höhenmeter zu bewältigen. Das entspricht einem durchschnittlichen Gefälle von 16,5 %.
Wie viel Zeit werde ich für die Tour brauchen?
Ein durchschnittlicher Wanderer benötigt für die reine Gehzeit ca. 12:45 Stunden, ein geübter Wanderer ca. 9:50 Stunden.
Dieser Wert kann individuell stark variieren. Siehe Gehzeitrechner.
Wie viele Kalorien werden bei der Tour verbrannt?
Bei der Wanderung werden ca. 3.569 kcal verbrannt.
Es ist zu beachten, dass die Berechnung des Kalorienverbrauchs auf Faustformeln und allerlei Annahmen beruht, z.B. Gewicht=75 kg, Kalorienverbrauchsvorgaben für Aufstieg, Abstieg, flach usw. und daher nur eine Schätzung und keine exakte Angabe liefert. Wenn du deinen Kalorienverbrauch selbst berechnen möchtest, dann schau dir diesen Kalorienrechner an.
Gibt es interessante Wegpunkte?

Ja, es gibt interessante Wegpunkte. Hier ist eine Liste:

Fotos Bergwelt der Ortlergruppe vom Piz Minschuns und vom Piz Chavalatsch aus gesehen

 

Hoteltipps für Ihren Wanderurlaub in Südtirol

2 Kommentare über “Zwei Gipfel Bergtour mit Ortlerblick”

  1. Karl-Heinz Weller says:

    Hallo Dietmar

    Wie immer grandiose Bilder und wie gewohnt humorvolle und persönliche Beschreibung Eurer Tour.
    Durch unsere gemeinsame Wanderung wusste ich ja bereits um die besondereren Umstände dieser Mammutwanderung mit nächtlichem Ende!!

    Durch die Bilder vom Höhenweg zwischen Furkelhütte und Piz Munschin konnte ich nochmals die Blicke hinunter nach Trafoi und meinen Weg zu den „Heiligen Drei Brunnen“ super nachvollziehen, das war ja die vorletzte Tour meines diesjährigen Aufenthalts im September im Vinschgau. Ich konnte genau in den Talschluß von Trafoi hinein sehen wo sich die „Heiligen Drei Brunnen“ samt dem grandiosen Wasserfallweg befinden, für mich daher außer deinen tollen Bildern mal eine super Orientierung.

    Und ein kleiner Schmunzler am Rande: Man ist mit einer guten Wanderkarte und vor allem ein guter Beschreibung einer Tour aus einem mitgeführten Wanderbuch wie z.b. von „Kompass, Rother oder „Menaras Athesia“ Buch manchmal auf altmodische Art nicht ganz schlecht beraten, man verläuft sich vielleicht nicht so leicht (Schmunzel) und kommt nicht in die Nacht (schmunzel).
    Aber dafür hattest du ja dann phänomenales Licht beim Abstieg zur Stilfser Alm.
    Ich frag mich (schmunzel) warum es keine Bilder von der Stilfser Alm ins Tal gibt.

    Dein augenzwinkernder Wanderkamerad (der trotz Wanderbuch den Einstieg zur gemeinsamen Tour auch erst nach einigen Irrungen und mitgeführtem Buch fand)
    Charly

  2. Dietmar Mitterer-Zublasing says:

    Hallo Charly,

    Moment, ich muss nachschauen wo dieses „Heilig Drei Brunnen“ überhaupt genau liegt. Aja, hab es gefunden, aber natürlich nicht auf einen analogen Karten, sondern auf einen digitalen 😉 Scheinbar hinten drin im Talschluss wo es ausschaut wie wenn Stein- oder Schotterlanen Wald und Wiesen verhindern. Aber das Kirchlein steht dann trotzdem auf einer Wiese am Waldrand. Richtig?

    Zum Thema Wanderkarte. Analoge Karten sind schon toll, vor allem weil sie keinen Strom fressen und somit nicht ausfallen können 😉 Doch das Kartenfalten fand ich immer nervig. Ich habe die immer falsch gebogen, sodass sie dann bald gerissen sind. Bei einem Buch, muss man zwar nicht falten aber blättern. Und beide zeigen nicht wo man sich gerade befindet. So oder so, Vor- und Nachteile gibt es sowohl bei analog als auch digital. Und wenn man so wie ich bei dieser Tour nicht drauf schaut, hilft beides nicht. Schuld war der herrliche Ausblick, der mich vergessen lassen hat zu schauen.

    Du fragst dich warum es keine Fotos vom der Stilfser Alm ins Tal gibt?
    Das hat einen anderen Grund als du wahrscheinlich glaubst. Ich hätte schon die Nerven gehabt trotz Finsternis zu fotografieren. Dafür hätte ich aber viel Zeit gebraucht, denn ich hätte die Kamera geschickt platzieren müssen. Aus der Hand geht in der Finsternis nicht. Ich hätte extremen Langzeitbelichtungen machen müssen. Schwöre hatte ich gemacht, wenn nicht der Andreas nervös auf hundertachzig gewesen wäre 😉

    Und im Nachhinein muss ich sagen, zum Glück habe ich es nicht gemacht. Der Akku der Smartphone-Lampe hätte nicht gereicht! Der Andreas hat uns somit gerettet.

    😉

    Dietmar
    Charly

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